Menü
14.10.15 –
Sehr geehrter Vorsitzender,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren,
ich war in den letzten Wochen häufiger in der bisher noch einzigen richtig aufgestellten Zentralen Anlaufstelle des Landes in Halberstadt, zuletzt vorgestern. Mittlerweile existieren dort drei Camps, wo Menschen in Zelten leben. Ich bin in ein Zelt hinein gegangen, Nr. 67 im Camp 2, dort stehen sehr viele Zelte, gefüllt mit 10 Menschen aus Syrien, beide Geschlechter, gemischt und eine schwangere Frau darunter, um die es eigentlich ging, weil sie ein besonderes Anliegen hatte.
Aber was mich am meisten erstaunt hatte unter diesen nicht selbstverständlichen schwierigen Lebensbedingungen, dass ein junger Mann aus Syrien auf mich zu kam und mich in sehr gutem Deutsch ansprach. Das hat mich wirklich überrascht und ich habe ihn gefragt, wo haben Sie denn so gut Deutsch gelernt. Er war auch nicht schon mal hier oder hatte es in Syrien gelernt, sondern in der Türkei.
Er sagte: „In der Türkei, als ich fünf Monate im Flüchtlingslager darauf gewartet habe, dass ich nach Deutschland komme. Mein Ziel war nach Deutschland zu kommen, also möchte ich diese Zeit nutzen und lerne eigenverantwortlich schon mal Deutsch.“
Er hat das super gemacht in dieser kurzen Zeit. Ich will damit sagen, dass in diesen Menschen, die zu uns nach Sachsen-Anhalt kommen, gerade in den Syrerinnen und Syrer, die oft eine hervorragende Ausbildung haben, aber auch in den anderen, viele Potentiale schlummern. Wir sollten in der gesamten Debatte, die wir führen, diese Potentiale und die Chancen, die sich mit der Ankunft dieser Menschen in unserem Bundesland verbinden, viel mehr in den Fokus stellen. Viel mehr die positiven Aspekte vor die Problematiken stellen, die zweifelsohne da sind, reden müssen und können, nach vorne stellen. Das wünsche ich mir sehr.
Ich wünsche mir auch, dass wir nicht noch lange die Situation in unserem Bundesland haben, in der Menschen in Zelten leben müssen. Wir haben draußen jetzt schon empfindliche Temperaturen, gerade in den Nachtstunden wird es sehr kalt. Wir müssen die Leute aus den Zelten raus holen. Deswegen ist es auch richtig, dass auch eine Zentrale Anlaufstelle hier nach Magdeburg kommt, denn wir brauchen sie ja, denn die Menschen sind da. Jeder Landkreis, jede Stadt in Sachsen-Anhalt muss auch ihren Beitrag leisten.
Und wenn wir über die Beiträge sprechen, dann finde ich bei der Unterbringung von Geflüchteten machen wir das in Magdeburg recht gut. Ich bin froh darüber. Und ich bin froh über diese Darstellung, wie die Stadtverwaltung heute das ganze sachlich und differenziert aufgegliedert und gezeigt hat, einmal auf der aufenthaltsrechtlichen Ebene und auf der Ebene der Unterbringung und der sozialen Betreuung. Wir machen das gut. Wir brauchen uns im Vergleich innerhalb unseres Bundeslandes sicherlich nicht verstecken. Trotzdem können wir es sicherlich noch besser machen.
Zum Bespiel in dem wir das Akquirieren der zahlreichen leer stehenden Wohnungen auf dem Wohnungsmarkt strategischer angehen. Wir haben damit gerade erst begonnen. Wir können auf diesem Feld noch besser werden und mehr erreichen, denn es geht ja nicht nur darum blöckeweise Menschen unter zu bringen, sondern gerade die vereinzelt liegenden Wohnungen noch besser und strategischer zu belegen.
Wir schaffen das. Auch das ist schon gesagt worden. Das hat die Bundeskanzlerin gestern noch einmal, wie ich finde, eindrucksvoll unterstrichen. Ich hätte gar nicht gedacht, dass ich da gar nicht mehr rauskomme, die Bundeskanzlerin eine dreiviertel Stunde zu loben. Ich denke auch, wir schaffen es. Aber es reicht nicht aus, zu sagen, wir schaffen das. Das ist doch klar. Vieles der positiven Aspekte, die sich mit der Einwanderung verbinden, werden wir im Moment nicht sofort merken. Wir sind da momentan im operativen Management. Viele der positiven Aspekte sind nachgelagert und werden sich möglicherweise erst in einigen Jahren oder Jahrzehnten zeigen. Und dennoch sind diese Effekte absehbar. Und wenn wir uns gutes Regierungshandeln und gutes Handeln in unseren Parlamenten und kommunalen Vertretungen als Zielsetzungen setzen, dann wird von uns auch erwartet, dass wir diese langfristige Perspektive denken.
Und da bin ich ganz deutlich. Ich glaube, dass diese gezielte Einwanderung nach Sachsen-Anhalt die größte Chance für unser Bundesland seit der Wiedervereinigung ist. Davon bin ich fest überzeugt. Und es ist unsere Aufgabe als aktive Politikerinnen und Politiker, was wir daraus machen und wie wir damit umgehen.
Wir erleben das erste Mal seit 25 Jahren einen signifikanten Zuzug in unser Bundesland. Und seit eben diesen 25 Jahren reden wir von Abwanderung. Hier steht nicht die Lösung vor der Tür, aber hier steht ein Aspekt der Lösung für dieses große Problem, für das wir bisher keine richtige Lösung gefunden haben, vor der Tür. Deswegen ist es unsere Pflicht, verantwortungsvoll damit umzugehen und die Menschen zu integrieren. Dazu gehört auch, dass wir diejenigen, die auch nur einige Jahre, und das sind immerhin lange Zeiträume, bei uns sind, so gut wie möglich integrieren.
Jeden Tag den jemand hier sinnlos herum sitzt, ohne die deutsche Sprache lernen zu können, ohne Arbeit aufnehmen zu können, ist ein verlorener Tag. Letztendlich nicht nur für diese Person, sondern auch für unsere Stadt und unser Bundesland.
Auf die positiven Effekte bin ich eingegangen. Auch wirtschaftlich wird das ganze positive Effekte haben – übrigens schon jetzt in der operativen Phase.
Wer von Ihnen vielleicht heute in die Onlineausgabe der Rheinischen Post geschaut hat, der findet einen längeren Artikel darüber. Der Chef des Kölner Instituts der Deutschen Wirtschaft, Michael Hüter, nennt das Ganze, was im Moment stattfindet, durch die Milliarden die auf Bundesebene freigestellt werden, ein Konjunkturprogramm für Deutschland. Das ist es sicherlich, wenn man sieht, was jetzt saniert und aufgebaut wird, die gefüllten Auftragsbücher der Handwerksbetriebe. Da kommen Menschen in Arbeit. Da wird wertgeschöpft.
Natürlich bereichern die Menschen, die nach Sachsen-Anhalt kommen, langfristig und schon jetzt unser Land. Unser Land wird bunter. Vor einem Verlust der Identitäten oder der wahrgenommenen Identität muss in Sachsen-Anhalt, muss in Magdeburg niemand Angst haben. Es liegt an uns, was wir aus unseren Städten und Gemeinden machen.
Schwierig ist das natürlich für Regionen in Deutschland, die bisher eine geringe Ausländerdichte hatten als das vielleicht in einigen Regionen Westdeutschlands der Fall ist. Da gehört Sachsen-Anhalt dazu, und da gehört Magdeburg dazu.
Wir haben mit etwas über 3 % in Sachsen-Anhalt immer noch einen Ausländeranteil, der verschwindend gering ist. Selbst wenn am Ende 2015 3420 Asylsuchende nach Magdeburg gekommen sind, und wenn sie bleiben sollten, dann sind eben dreieinhalbtausend Menschen dazu gekommen in unserer Stadt. Es wäre doch gelacht, wenn wir es nicht schaffen würden, deren Integration bei uns in einer Stadt mit 230.000 Einwohnern richtig zu gewährleisten. Aber das ist die Herausforderung, die definitiv vor uns liegt.
Das sehen natürlich nicht alle so, und es wird sehr viel geschimpft und polemisiert. Ich persönlich bin erschrocken von der Einwohnerversammlung, die ich in der St.-Petri-Kirche erlebt habe. Das war wirklich schlimm. Vor diesem Problem stehe ich auch etwas ratlos da, denn ich fand, die Riege der vorn Sitzenden hat das gut gemacht. Das Problem waren die Bürgerinnen und Bürger, die keine oder nur sehr wenige Fragen gestellt haben, sondern die polemisiert und zum Teil abstruse Theorien wiedergegeben haben. Wo ich mich frage, wie man eigentlich dazu kommt, so etwas zu äußern. Es waren ja nicht alle Nazis dort im Saal. Es waren ganz normale Bürgerinnen und Bürger, die so etwas wiedergeben. Da liegt für uns eine Schlüsselaufgabe im Moment. Wenn wir da nicht gemeinsam daran arbeiten, diese Fragen, die die Menschen wirklich haben, oder eben auch dem Unsinn, der erzählt wird, zu widerstehen und erklären, warum das Unsinn ist. Dann kann es in der Tat dazu kommen, dass die Stimmung kippt. Das können wir uns nicht leisten. Was erzählt wurde, ist zum Teil großer Unfug. Es wurde erzählt, und das kursiert jetzt auch im Internet, dass in der Breitscheidstraße 7.500 Asylsuchende in der ZAST untergebracht werden sollen. Das ist reiner Unfug. Der Innenminister hat es klar und deutlich zu uns Parlamentariern im Innenausschuss gesagt und in der St.-Petri-Kirche wiedergegeben, dass die Maximalobergrenze bei 1.500 liegt. Es ist unser aller Aufgabe, solchen Aussagen, wo sie uns begegnen, auch zu widersprechen und es nicht einfach hin zu nehmen. Aussagen, wie Männer würden dort aus der Notdurft, was auch immer das bedeuten soll, Frauen vergewaltigen, Biotope würden zerstört werden, der Denkmalschutz des Herrenkrugparkes stünde in Gefahr, obwohl der betreffende Bereich gar nicht im Herrenkrugpark liegt. Das Gelände der Breitscheidstraße gehörte irgendwelchen ominösen Ausländern, von denen das Land es jetzt gekauft hätte. Ich frage mich, wem sollte es denn gehören – der Familie Rothschild? Der Innenminister hat klar gesagt, das ist Landeseigentum, sonst wäre es dort gar nicht in Betracht gezogen worden. Oder auch die Aussage, die öffentlich getätigt wurde, dass in der Pfeifferschen Stiftung die Kreuze abgehängt werden, weil dort Asylsuchende behandelt würden. Diesem ganzen Schwachsinn müssen wir wirklich entgegen treten und Fragen, wo sie da sind, auch beantworten.
Auf Vieles ist hier schon eingegangen worden, was richtig ist. Es gehört aber auch dazu, dass in unserer Kommunikation keine Katastrophenrhetorik an den Tag gelegt wird - mit dem Schüren solcher Argumente und Theorien, die von rechts gestreut werden. Wir haben es nicht mit einer humanitären Katastrophe zu tun, wir haben es nicht mit einer militärischen Katastrophe zu tun, deswegen brauchen wir auch keine Katastrophenrhetorik an dieser Stelle.
Zum Globalen ist einiges gesagt worden. Ich möchte es nicht wiederholen. Natürlich haben wir eine Mitverantwortung für die Dinge, die geschehen. Den Syrienkrieg gibt es seit knapp fünf Jahren. Klar, hätten wir wissen können, was auf uns zukommt. Und natürlich müssen wir als Deutschland unserer Verantwortung gerecht werden, was Entwicklungszusammenarbeit angeht und weiter an der Behebung der Fluchtursachen arbeiten. Doch das ersetzt nicht, dass wir uns jetzt mit dem Thema auseinandersetzen und gute Arbeit leisten. Ich hoffe, dass wir das zusammen bei uns in der Stadt Magdeburg gut hin bekommen.
Es gilt das gesprochene Wort!
Sören Herbst
Stellvertretender Fraktionsvorsitzender
Kategorie