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06.11.15 –
Trotz regelmäßiger Fahrpreiserhöhungen und einschneidender Sparmaßnahmen fehlen dem öffentlichen Personennahverkehr die Mittel für den Betrieb der Busse und Bahnen. Der Installationsrückstau ist immens.
Der ÖPNV hat neben den Fahrgästen als direkte Nutzer auch viele Drittnutzer. Diese profitieren von den ÖPNV-Fahrgästen als Kunden, Besucher und Mitarbeiter. Es gibt also gute Argumente dafür, auch die Drittnutzer und die Allgemeinheit an den Betriebskosten des ÖPNV zu beteiligen.
DIE LINKE hat sich in ihrem Kommunalwahlprogramm 2014 dazu bekannt, langfristig den fahrscheinlosen ÖPNV einzuführen. Eine solidarische Finanzierung des ÖPNV würde nicht nur die Finanzierung eines guten Angebotes sicherstellen, es würde auch das ÖPNV-Tarifsystem radikal vereinfachen und letztendlich mehr Bürger veranlassen, Busse und Bahnen zu nutzen. Insbesondere der Autoverkehr verursacht externe Kosten (Lärm, Abgase, Unfallfolgen, Flächenverbrauch etc.), die von der Allgemeinheit getragen werden müssen.
Im In- und Ausland gibt es verschiedene Beispiele für neue Finanzierungsmodelle. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben in ihrem Kommunalwahlprogramm 2014-2019 versprochen, derartige Finanzierungsalternativen zu prüfen.
Daher haben beide Ratsfraktionen mit der Veranstaltung „Fahrscheinloser ÖPNV – Bürgerticket & Co“ am 04.11.2015 die Öffentliche Diskussion zur Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs angestoßen. Zum Zuhören, aber auch zum Mitdiskutieren waren etwa 70 Interessierte in den Hansesaal des Alten Rathauses gekommen.
Jürgen Canehl(Grüner Stadtrat in Magdeburg und verkehrspolitsicher Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen), Diskussionsleiter an diesem Abend, machte deutlich, dass in vielen Bundesländern und Kommunen bereits intensiv über die Einführung von „Bürgertickets“ und eine Mitfinanzierung des öffentlichen Verkehrs durch Nahverkehrsbeiträge nachgedacht wird. Vorbild ist dabei das Semesterticket, wo alle Studierenden, unabhängig davon, ob sie selbst den ÖPNV nutzen, in vielen Kommunen, wie z.B. auch in Magdeburg, mit ihren Pflichtbeiträgen auch ein Semesterticket finanzieren.
Dass die Dinge in der Praxis nicht immer ganz so einfach sind, machten die anwesenden Experten auf diesem Gebiet einmal mehr deutlich. Zwar plädierte Matthias Bärwolff (Aufsichtsratsvorsitzender der EVAG Erfurt und Fraktionsvorsitzender DIE LINKE im Stadtratvon Erfurt) offensiv und überzeugend für die Einführung einer Nahverkehrsabgabe auf der Basis eines gesetzlich vorgeschriebenen Anschluss- und Benutzungszwanges, musste aber in der anschließenden Diskussion mit den anderen Experten einräumen, dass bei der praktischen Umsetzung noch viele Fragen offen sind.
So ist die Einbindung anderer Tarifsysteme, z.B. für Pendler aus dem Umland, dabei noch ungeklärt und auch die Lenkungswirkung der Verkehrsströme entfällt dann völlig. Birgit Münster-Rendel (GF der MVB) machte außerdem deutlich, dass dann mehr Züge auf den Schienen fahren müssen, um das Mehraufkommen der Fahrgäste zu bewältigen, was zwangsläufig zu einer Halbierung des Taktes führen muss. Dies wiederum gibt die derzeitige Infrastruktur des Straßenbahnnetzes nicht her, so dass vorher in den Ausbau der Infrastruktur investiert werden muss.
Über die Nahverkehrsabgabe für alle in einer einheitlichen Höhe entspannte sich unter den Experten eine hitzige Diskussion. Sie sei ungerecht, so Steffen Tippach(Geschäftsbereichsleiter der Leipziger Verkehrsbetriebe) und außerdem mache ihm die „Spaghetti-Finanzierung“ des ÖPNV große Sorgen, die da der ÖPNV bereits jetzt auf 15 Säulen der Finanzierung steht. Das wird keinesfalls überschaubarer, wenn jetzt noch andere Einnahmequellen dazu kommen.
Auch das Modell einer Belegung der Grundsteuer B wäre aus seiner Sicht viel zu bürokratisch, außerdem müssten die Mehreinnahmen dann politisch gebunden werden. All dies sind Hürden, die dieses Finanzierungsmodell unattraktiv machen.
Ähnlich problematisch sieht dies auch Dr. Jürgen Gies(Wissenschaftlicher MA im DIFU). Seiner Ansicht nach wäre eine steuerbasierte Abgabe am sinnvollsten und gerechtesten, anstelle eine Nahverkehrsabgabe, die für alle gleich ist. Doch dazu, so Gies, fehle es aus seiner Sicht am politischen Willen.
Er machte außerdem deutlich, dass nicht alle der Städte, die bereits einen fahrscheinlosen ÖPNV eingeführt haben (z.B. Templin (D) mit 17 Ts EW, Hasselt (B) mit 70 Ts EW oder Tallin mit 500 Ts EW), auch wirklich deutliche Fahrgastzuwächse haben.
Fakt ist, da waren sich alle Experten auf dem Podium einig, dass der ÖPNV auch zukünftig mehr Geld brauchen wird, um den gewachsenen und zeitgemäßen Anforderungen gerecht zu werden. Diese Mehraufwendungen sind keineswegs durch immer weiter steigende Fahrpreise zu kompensieren. Daher sind alternative Finanzierungsmodelle gefragt, denn irgendwer muss die Kosten dafür übernehmen.
Und was wäre logischer, als dass alle Steuerzahler dies je nach Einkommen mit finanzieren, denn die Kosten für den MIV zahlen ja am Ende auch alle, selbst wenn der PKW-Halter durch die Kfz-Steuer ein wenig mehr dazu beiträgt. Die verdeckten Kosten dafür tragen jedoch alle Steuerzahler. Warum sollte das beim ÖPNV also anders sein.
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