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31.08.22 –
Was hat dich politisiert?
Das ist bei mir schon eine ganze Weile her. Ich bin 1989 in die Politik gegangen. Ich habe an Demonstrationen teilgenommen, war dann Mitglied der Bürgerrechtsbewegung “Neues Forum”. Wir wollten die DDR verändern, das war das Ziel. So bin ich politisiert worden. Das Weitere ergab sich dann so im Leben.
Wann hast du zum ersten Mal für den Stadtrat kandidiert?
Ich habe mich weiter für die Gesellschaft engagiert, da hat man ständig Dinge, an denen man sich reibt. Und das im Besonderen in der Kommunalpolitik. 1990 war ich mit 19 wahrscheinlich der jüngste Kandidat für den Stadtrat. Damals bin ich aber nicht gewählt worden. Ich bin erst später, zur Kommunalwahl 1999, in den Stadtrat eingezogen. Das macht tatsächlich Freude, weil man in der Kommunalpolitik noch die Dinge regeln kann, die vor Ort passieren. Und man glaubt gar nicht, wie stark Kommunalpolitik in das einzelne Leben der Menschen eingreift.
Was sind deine politischen Schwerpunkte/Herzensthemen und warum sollten sich andere für dieses Themenfeld interessieren?
Das Eintreten für Demokratie, Rechtsstaat und Bürgerbeteiligung. Die Art und Weise, wie wir in unserer Gesellschaft zusammenleben, wie wir unsere Rechte wahrnehmen und dass wir möglichst alle Leute in die Frage einbeziehen: “Wie gestalten wir unser Umfeld, wie gestalten wir unser Leben?” Das ist Bürgerbeteiligung. Damit bin ich in die Politik gekommen und das führe ich bis heute fort.
Wie würdest du deine Politik in drei Worten beschreiben?
Demokratisch, nachhaltig, sozial.
Was war dein größter Erfolg in den vergangen drei Jahren im Stadtrat?
Worüber ich mich ganz aktuell gefreut habe, war, dass wir für ein Baugebiet eine Solardachpflicht durchsetzen konnten. Das ist ein ganz großer Schritt. Vor zwei Jahren sind wir mit unserem Antrag gescheitert. Da waren wir als Fraktion ganz allein, niemand hat mitgestimmt, alle gegen uns.
Bis zur nächsten Wahl sind es noch knapp 2 Jahre. Was willst du bis zum Ende dieser Wahlperiode noch unbedingt erreicht haben?
Wir haben in den letzten drei Jahren eine deutliche Veränderung gesehen. Die Mehrheitsverhältnisse haben sich bei der letzten Wahl geändert. Bisher konnten die CDU und die SPD sich abstimmen. Wenn die sich einig waren, war es das. Wir waren häufig in der Oppositionsrolle gefangen. Wir können jetzt nach und nach unsere Themen setzen, Radverkehr und ÖPNV nach vorne bringen. Tatsächlich sieht man Stück für Stück, dass grüne Themen sich durchsetzen. Wir sind eifrig bemüht, neue Mehrheiten zu schmieden. Das ist auch ganz gut geglückt. Und ich glaube, dass das in den nächsten zwei Jahren weitergeht.
Wie sieht es mit der Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung aus?
Jetzt wird es ganz spannend mit einer neuen Oberbürgermeisterin. Da verspreche ich mir jetzt durchaus, dass die Stadtverwaltung da offener ist. Das werden die nächsten zwei Jahre zeigen.
Magdeburg 2050 ist…
…viel lebendiger als heute. Eine quirlige Stadt, die ganz viel mit Wissenschaft und moderner Technologie zu tun hat. Die Firmen angezogen hat, die in diesem Bereich tätig sind und sie ist viel jünger als heute. Es ist aber trotzdem meine Hoffnung auf eine grüne Stadt geblieben, die urbanen Charakter hat.
Bleibt neben der Politik auch noch Zeit für die Familie?
Die Familie ist natürlich sauer, wenn man gerade nachmittags und abends Termine hat. Das ist in der Politik aber häufig so, denn man muss sie gegenüber den Menschen vertreten. Man muss zu Mitgliederversammlungen oder zu Vereinen, zu Podiumsdiskussionen. Diese kommunizieren von Politik findet naturgemäß häufig außerhalb normaler Arbeitszeiten statt. Und das ist für Personen, die hauptamtlich in der Politik tätig sind, eine ziemliche Belastung. Da muss man mit der Familie deutliche Vereinbarungen treffen und diese einhalten.
Du wurdest 1999 zum ersten Mal in den Stadtrat gewählt. Was hat sich seitdem im Rat verändert?
In der Form her gar nicht so viel. Es wird immer noch genauso viel diskutiert, aber die Art und Weise der Diskussion hat sich verändert. Ich meine sogar zum Positiven. Es wird ja auch viel gestritten, aber ich finde die Themen sind viel offener als damals. Der alte Stadtrat war sehr von der Koalition aus CDU, SPD und OB geprägt. Wenn man mit so „verrückten“ Themen zu regenerativen Energien oder weniger Autozentrierung, attraktiven Radverkehr oder ÖPNV , Geschlechtergerechtigkeit, Bodenversiegelung etc. gekommen ist, rollten nur die Augen. Jetzt können wir unsere Position deutlich stärker vertreten. Teilweise waren wir Grünen mal zu dritt im Rat. Jetzt sind wir neun plus zwei Leute von future!, die größte Fraktion. Das war damals völlig undenkbar.
Wie haben sich die anderen Fraktionen seitdem verändert?
Sie sind offener für unsere Themen. Ich sehe das bei allen demokratischen Fraktionen, außer der AfD, die aber im aktuellen Stadtrat keine wesentliche inhaltliche Rolle spielt. Aber gerade bei der SPD nehme ich auch neue Leute wahr, mit neuen Ideen, die unserem durchaus ähnlich oder zumindest anschlussfähig sind. Auch bei der Linken sind die etwas bärbeißigen, aus der DDR übrig geblieben Typen von früher, die eigentlich konservativ waren, heute praktisch nicht mehr da. Und selbst bei der CDU hat man manchmal den Verdacht, dass sie die grünen Ideen doch für gar nicht mehr für so verrückt mehr. Der Stadtrat ist jetzt offener, dynamischer und damit auch anstrengender. OB Trümper hat total darunter gelitten in den letzten drei Jahren, weil das alte System zerbrochen ist. Es wäre eine Chance für etwas Neues gewesen, aber er hat sie leider nicht ergriffen.
Du schwärmst immer gerne von dieser Dynamik der Kommunalpolitik. Was macht sie so besonders?
Sie ist sehr sachorientiert und hält sich wenig mit Formalien auf. Im Landtag gibt es eine Koalition und eine Opposition. Vieles wird im Vorfeld innerhalb der Koalition geklärt. Wenn die Opposition gute Punkte hat, kommt die Regierung zwar unter Druck. Aber die Landtagssitzung selbst ist sehr statisch. Die Abstimmungsergebnisse sind zu meist vorab ziemlich klar. Im Stadtrat ist das ja das pure Gegenteil. Da werden Anträge reingeworfen
und alle erzählen, was ihnen gerade einfällt. Manchmal nicht so qualifiziert, manchmal aber auch sehr qualifiziert. Das macht Spaß, weil das so eine Dynamik hat, bei der sich eine Meinung auch mal im Rat selbst bildet. Ich glaube, dass die Magdeburger Bevölkerung sich da im Stadtrat ganz gut vertreten fühlen kann. Der Rat ist ziemlich bunt und laut, das ist auch sehr erfreulich. Als Stadtrat haben wir allerdings auch die Aufgabe auch konsequent und verlässlich zu sein. Bei aller Dynamik sollte aber klar sein, wohin der Rat politisch will, welche grundsätzlichen Ziele er verfolgt. Da sind wir deutlich besser geworden.
Falsch abgestellte Fahrzeuge auf Geh- und Radwegen oder vor Bordsteinabsenkungen werden in Magdeburg immer wieder heiß diskutiert. Warum tut sich beim Thema trotzdem nichts?
Das obliegt leider der Stadtverwaltung. Der Stadtrat kann darauf nicht direkt einwirken. Wir stellen ja keine Bußgeldbescheide aus. Der aktuell noch zuständige Beigeordnete, der aber bald in Rente geht, war da eher zurückhaltend und hat das leider nur als ordnungspolitisches Thema nicht als ernstes Problem des Zusammenlebens und der Sicherheit von Radfahrenden, Fussgänger*innen oder ÖPNV begriffen. Für die Menschen, die zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sind, ist das aber ein alltägliches Problem. Da muss man ran. Wenn sich die Kandidat*innen für die Neuwahl bei uns vorstellen, wird auch das ein wichtiges Thema sein.
Hast du das Gefühl, die Verwaltung ist zugänglich genug für Kritik?
Da ist die Verwaltung schon Verwaltung. Sie ruht sehr in sich und Bürger*innen werden schnell als störend empfunden. Das sollte so nicht sein. Das ist eine Frage der Kultur: “Wie stelle ich die Verwaltung auf und bin ich bereit auf Ideen und Kritik von außen einzugehen?” Es ist schon etwas besser geworden. Über den MD Melder können die Leute inzwischen kleine Probleme, wie kaputte Straßenlampen etc. melden. Nimmt die Verwaltung das Thema aber als politisch war, wird es schwer. Das gilt z.B. auch für das Thema ruhender Verkehr. Die Verwaltung gibt merkwürdige Stellungnahmen ab, anstatt bestehendes Recht durchzusetzen.
Magdeburger*innen äußern immer wieder das Gefühl nicht gehört zu werden oder dass Barrieren zu hoch seien? Was kann Magdeburg tun, um die Bürger*innenbeteilgung zu verbessern?
In Magdeburg gibt es sogenannte Arbeitsgruppen Gemeinwesenarbeit (GWA), die theoretisch eine Übersetzungsleistung in den einzelnen Stadtteilen ermöglichen sollen. Die Leute sollen dort hingehen und sich engagieren können, um dann die Kommunalpolitik vor Ort zu gestalten, ohne dass sie zu Wahlen antreten müssen. Ich habe Zweifel, ob das gut klappt. Eine Alternative wäre das Einrichten von Ortschaftsräten, die im Kleineren zuständig sind. Ein anderer Ansatz wäre es, bestimmte Entscheidungen direkt an die Bürger*innen zu geben. Es gäbe auch die Möglichkeit eines Bürgerhaushaltes, in dem man Teile des Haushalts für Bürger*innenprojekte nutzt. Eine weitere Möglichkeit wäre es, den Menschen die Möglichkeit einzuräumen, einzelne Drucksachen, Anträge etc. direkt online zu kommentieren, Anregungen zu geben, Vorschläge zu machen. Unsere Ratsfraktion ist ja mit der Möglichkeit Vorschläge an Die Fraktion zu geben, da schon vorangegangen.
Immer mehr Menschen betrauern den Verlust historischer Gebäude in Magdeburg, die dann durch einen vermeintlich “seelenlosen modernen Block” ersetzt werden. Was kann die Stadt tun, um den Gebäudebestand zu erhalten?
In der Vergangenheit war so die herrschende Meinung in der Stadtverwaltung, dass uns private Gebäude nichts angehen. Das war eine eher neoliberale Haltung des damaligen Finanzbeigeordneten und führte dazu, dass wir viele völlig ungeklärte Objekte hatten, bei denen sich das Eigentum z.B. bei einer komplizierten handlungsunfähigen Erbengemeinschaft oder sonst handlungsunwilligen Eigentümer*innen befindet. Und wir hatten dann diese Schrottimmobilien im Straßenbild. Das ist jetzt besser geworden, weil die Kommunalpolitik ein stärkeres Gewicht daraufgelegt hat. Zum Teil sind aber auch wertvolle Gebäude verloren gegangen, so zum Beispiel in der Sternstraße Nr. 2. Ich habe nie verstanden, warum wir uns als Stadt dafür nicht engagiert haben. Es stand über 20 Jahre leer und war städtebaulich unglaublich wichtig. Das hätten wir, egal was es kostet, nehmen und sanieren müssen. Langfristig hätten wir damit Gewinn gemacht. Aber nein, man hat es verfallen lassen, bis es auf städtische Kosten abgerissen werden musste. Jetzt haben wir da eine Lücke mitten in der Stadt.
Vor kurzem wurde auch das sogenannte historische Haus 5 intensiv diskutiert…
Haus fünf ist eine Geschichte, die das Land dann verbockt hat. Da ist die Stadt wenig dran schuld. Aber auch da hätte ich mir von der Verwaltung stärkeres Engagement gewünscht. Leider ist bei vielen das Verständnis für historisches Erbe und seine Bedeutung für die Lebensqualität einer Stadt wenig entwickelt.
Landtag oder Stadtrat?
Oje. Stadtrat.
Salbker See oder Elbe?
Salber See
Brockhaus oder Wikipedia
Wikipedia
Du beteiligst dich selbst aktiv an der Wikipedia. Was motiviert dich?
Also ich finde es ist tolles modernes Mittel, um Wissen zu vermitteln. Gerade die Frage Brockhaus gegen Wikipedia ist interessant. Das ist althergebrachtes Wissen, total wissenschaftlich gesammelt, von Leuten in grauen Anzügen, und das andere öffentlich diskutiert, total transparent mit öffentlich einsehbarer Versionsgeschichte geschrieben von jedermann. Die Wikipedia hat das Problem, dass sich nicht wirklich alle gesellschaftlichen Gruppen beteiligen und bestimmte Gruppen mit ihren Ansichten und Bedürfnissen unterrepräsentiert sind, aber alle können mitmachen, wenn sie das wollen und Informationen zu den unterschiedlichsten Themen sammeln. Von der Biografie von Comicautoren, über die großen politischen Themen bis hin zum einzelnen Baudenkmal und Dingen, von denen du noch nie gehört hast. Ich finde das faszinierend und praktisch für den Alltag!
Gibt es denn auch eine kommunalpolitische Niederlage, über die du dich heute noch ärgerst?
Das Schüler*innenticket. Das war ärgerlich. Ich war auch wirklich sauer, weil andere damit in den Wahlkampf gezogen sind im Wissen, dass ein solches Ticket nicht für „umme“ zu haben ist, sondern uns das als Stadt Geld kostet. Und dann wird es nach der Wahl ernst und die eigentlichen Fürsprecher aus dem Wahlkampf machen einen Rückzieher und wir sind plötzlich diejenigen, die die Fahne hochhalten. Ansonsten ist es in jeder Stadtratssitzung so, dass man gewinnt und verliert. Und dann darf man sich da nicht wundern oder ärgern, sondern muss ggf. wieder aufstehen und macht weiter.
Was machst du, wenn du gerade mal nicht Politik machst?
Man sollte die Zeit tatsächlich für die Familie nutzen. Abseits davon bin ich in der Wikipedia recht aktiv und setzte mich mit der Stadtgeschichte auseinander, bin z.B. auch Mitglied im Förderverein des Stadtarchivs und in meinem örtlichen Bürgerverein.
Zwischen alten Industrieanlagen und Elbe, wo liegt die Zukunft von Magdeburgs Süden?
Ich glaube, die Stadtteile werden zum Wohnen sehr interessant sein und geradezu aufblühen. Wir haben gerade hier im Südosten unglaubliche Potenziale. Die riesigen industriellen Brachflächen mitten im Ort, wie das alte Fahlberg-List-Gelände, also optimal gelegen an der Elbe, hochwassersicher, vom ÖPNV gut erschlossen. Was will man noch? Das würde die Stadtteile auch näher an die Elbe holen. Gleiches kann man über das RAW-Gelände in Salbke sagen. Gelegen zwischen S-Bahn-Haltestelle im Westen und Straßenbahnhaltestelle im Osten steht das Gelände mit dem historischen Baubestand ungenutzt rum. Ich glaube, man wird dort nie wieder Waggons rangieren, aber man könnte es zu einem wunderbaren Quartier machen. Das sind Entwicklungen, die den ganzen Südosten der Stadt voranbringen würden.
Hast du einen Geheimtipp oder ein Lieblingsort hier im Süden?
Hier wo wir jetzt gerade sitzen. Die Fähre strahlt eine tolle Ruhe aus, wenn sie da ganz entspannt, nur durch die Kraft des Flusses getrieben, rüber auf die andere Seite fährt. Dort kann man ein bisschen wandern und Fahrradfahren oder auch die Gastronomie besuchen.