Sören Herbst zur Aktuelle Debatte "Magdeburg sein, Kulturhauptstadt werden" in der Stadtratssitzung am 18.05.17

23.05.17 –

Sören Herbst, kulturpolitischer SprecherSehr geehrte Damen und Herren,

alle reden über die Kulturhauptstadt. Aber was bedeutet es, Hauptstadt der oder für Kultur zu sein. Was ist überhaupt Kultur?

Das Wort Kultur stammt aus dem Lateinischen, „cultura“, was so viel heißt wie Ackerbau oder etwas pflegen. Kultur meint also ein menschliches Bedeutungsgewebe, das wir selbst entwerfen und in dem wir uns selbst befinden. Und wir alle sind darin tätig, jeden Tag. Kultur meint also alles, was wir selbst hervorbringen, im Gegensatz zu gegebenen Natur.

Dies vorausgesetzt ist Kultur die Summe der Verhaltensweisen, Einstellungen sowie des geistigen und materiellen Schaffens unserer Vorfahren und unserer heutigen Zeitgenossen. Kultur ist demnach zunächst ohne geografischen Bezug, aber natürlich kann sie auf einen bestimmten Ort, und hier Magdeburg,  fokussiert betrachtet werden.

Auf einen geografischen Raum eingegrenzt bedeutet dies: Kultur, das ist, was wir in dieser Stadt machten und machen. KulturHAUPTSTADT ist demnach ein Ort, an dem dieses überall existierende und hoch komplexe Bedeutungsgeflecht auf besondere Weise und außergewöhnlicher Form in Erscheinung tritt.

Der zeitweilige Arbeitstitel „Magdeburg sein, Kulturhauptstadt werden“ drückt dies für mich auf gelungene Weise aus. Magdeburg darf sich nicht verbiegen, wenn es Kulturhauptstadt Europas 2025 werden will - und es muss sich gleichzeitig neu erfinden.

Auch wenn es wissenschaftlich nicht ganz korrekt sein mag, denke ich dabei an eine Flüssigkeit, deren Moleküle durch Zufuhr von thermischer Energie immer heftiger in Bewegung geraten, bis die Flüssigkeit ihren Aggregatzustand verändert - aber dennoch immer Flüssigkeit bleibt.

Die ganze KulturhauptstadtBEWERBUNG von der wir immer sprechen, ist also nicht mehr als eine strukturierte und gesteuerte Begleitung eines Prozesses. „Magdeburg sein, das ist Kulturhauptstadt werden“, nur das „Magdeburg sein“ nicht dem Zufall überlassen wird.

Dieses Bild macht auch klar, dass die Bewegung überall entstehen muss, wenn sie Erfolg haben soll, sie wird nur gelingen durch eine Bündelung aller gesellschaftlichen Kräfte.

Die KulturhauptstadtBEWERBUNG ist ein gewaltiges Entwicklungsprojekt für unsere Stadt, ein Prozess, der 2025 absehbar nicht beendet sein darf und der nicht nur vom kulturellen und kreativen Sektor mitgetragen werden muss, sondern von allen Bereichen unserer Stadt, bis hin zur Wirtschaft und der auch ganz viele inhaltliche Anknüpfungspunkte an das bietet, womit wir uns hier jeden Monat sowieso beschäftigen - und viele von Ihnen auch jeden Tag: ISEK, Verkehrsplanung usw. All diese Punkte bieten auch Schnittstellen in diesem Bewerbungsprozess.

Das geflügelte Wort vom „Weg als Ziel“ trifft hier besonders zu, weil der Weg mit dem klaren Ziel vor Augen beschritten wird, und das Ziel seinerseits nicht ohne besondere Betrachtung des Weges erreicht werden kann.

Natürlich betrifft dies in besonderer Weise die Politik, ohne deren geschlossene Unterstützung und Mitwirkung das Projekt nicht erfolgreich sein kann. Aber nur die wenigsten Inhalte sind von der Politik beeinflussbar. Die Moleküle, deren Bewegung sich immer weiter intensivieren soll, sind die Menschen der Stadt mit ihren Ideen und Leistungen. Hierbei darf keine Ausnahme gelten, weil dies für etablierte ebenso wie für subkulturelle und weniger angepasste oder unbequeme Akteure gilt.

Beteiligung ist das Schlüsselwort. Die KulturhauptstadtBEWERBUNG muss eine BürgerBEWERBUNG werden. Magdeburg sein, Kulturhauptstadt werden. Es handelt sich nicht um ein „Event“, mit dessen Planung man jemanden beauftragt, sondern um einen Prozess, der nur durch das Zusammenwirken aller möglich wird.

Die Stadtverwaltung muss diesen Prozess kanalisieren und über das Organisationsbüro koordinieren, dessen Mitarbeiter übrigens eine sehr gute Arbeit machen. Viel mächtiger ist die Stadtverwaltung in ihrem Tun jedoch dort, wenn sie in ihrem Kerngebiet der Ausübung hoheitlicher Aufgaben der Kulturhauptstadtbewerbung mindestens den Rücken freihält und die Bewerbung im besten Fall in allen Dezernaten als zusätzliche Aufgabe begreift. Ich weiß, dass die Dezernate dies teilweise tun, was sehr hilfreich ist.

Ich möchte auch dafür werben, dass wir die Bewerbung als ein Projekt begreifen, auf dem wir uns Verbündete auf der ganzen Welt suchen. Warum sollten wir nur an der Magdeburger Bewerbung mitarbeiten, wenn dies tausende Menschen auf der ganzen Welt unterstützen können. Die Strahlkraft unserer Themen reicht doch in alle Welt hinaus. Denken Sie an Telemann oder das Magdeburger Recht und markieren Sie auch nur die wichtigsten Orte, in denen beide Phänomene Strahlkraft auf der Welt und insbesondere in Europa erlangt haben – dann sind das bereits unsere potentiellen Verbündeten für eine Bewerbung.

Denken Sie an die sieben Partnerstädte Magdeburgs. Der Oberbürgermeister unserer Partnerstadt Le Havre ist übrigens gerade französischer Premierminister geworden. Die Partnerstädte, diese wichtigen Multiplikatoren, müssen genauso für die Bewerbung mit ins Boot geholt werden, denn sie sind Teil unseres Magdeburger Bedeutungsgewebes. Wie wäre es, im Rahmen einer Rundreise durch alle Partnerstädte für die Kulturhauptstadtbewerbung Magdeburgs zu werben und eine gemeinsame Erklärung zu verabschiedeten, in der sich alle Partnerstädte zu einer modernen Interpretation wichtiger Grundsätze des Magdeburger Rechts bekennen? Ich denke, dass wir dieses Potential noch stärker heben sollten.

Klar ist es, dass es jetzt darum geht, alle mitzunehmen. Stellen Sie sich vor, sie wären ein Charakter in einem dieser alten „Jump-N-Run-Computerspiele“ vor. Sie laufen da durch, überwinden alle Hindernisse, aber am wichtigsten: auf dem Weg sammeln sie alle Gegenstände und alle Personen, die sie treffen, ein und nehmen sie mit. So geht es in der bekannten Umgebung Level für Level höher.

Und abschließend sei noch bemerkt: natürlich brauchen wir die Unterstützung des Landes. Ich bin deswegen dem MP und auch dem Kultusminister besonders dankbar, dass sie klar auf das hinweisen, worauf wir uns im Koalitionsvertrag geeinigt haben. Das Land unterstützt die Bewerbung der Landeshauptstadt Magdeburg.

Und klar, Konkurrenz belebt das Geschäft, das finde ich auch. Aber dieser unsolidarische Vorstoß von Halles Oberbürgermeister ausgerechnet in diesem kleinen Land, mit diesen zwei einzigen Großstädten, dagegen anzutreten, nach sechs Jahren Vorbereitungszeit, das ist unsolidarisch, das muss nicht sein, das sagt einiges und eigentlich mehr über ihn und seinen Kulturbegriff aus, als darüber, ob die Menschen sich das wirklich wünschen, dass diese beiden Städte ausgerechnet gegeneinander ohne Not antreten. Das hätte man anders machen können.

In diesem Sinne, lassen Sie uns das Wasser zum Kochen bringen! 

Es gilt das gesprochene Wort!

gez. Sören Herbst
Kulturpolitischer Sprecher
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Kategorie

Kultur | Reden