Jürgen Canehl zur Aktuellen Debatte in der Stadtratssitzung am 16.03.2017 „Die MVB als Schrittmacher von ÖPNV und MIV zwischen aktueller Baustellenausnahmesituation und Verkehrsdienstleister für Kunden aus Magdeburg und Gäste“

20.03.17 –

Jürgen Canehl, verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die GrünenSehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Gäste, liebe Stadtratskollegen,

ich hab das auch so verstanden wie Herr Rösler, dass wir uns mit der Baustellensituation insgesamt beschäftigen wollen und somit auch mit der Sperrung durch die Tunnelbaustelle. Überhaupt hat mir die Rede von Herrn Rösler bezüglich einer neuen Schwerpunktsetzung auf den ÖPNV und Fahrradverkehr gefallen.

Von dem von Ihnen angesprochenen internationalen Workshop in der Hochschule Magdeburg-Stendal berichtete die Volksstimme am 14. März „Für junge Leute spielt das Besitzen und Fahren eines Autos in der heutigen Zeit keine so große Rolle mehr, wie für viele Menschen der Generationen vor ihnen.“ Ich kann das nur aus eigener Anschauung von meiner 22-jährigen Tochter bestätigen. Sie nutzt – trotz Führerschein – in Braunschweig als auch in Magdeburg den ÖPNV oder fährt mit dem Rad. Obwohl sie zumindest in Magdeburg über ein Auto verfügen könnte.

Unsere Fraktion hat vor knapp einem Jahr in der Stadtratssitzung vom 21. April 2016 das hier heute angesprochene Thema Tunnelbaustelle Ernst-Reuter-Allee in einer Grundsatzan­sprache auf die Tagesordnung gesetzt.

Dabei ging es uns um die Kostensituation des unsinnigen Projektes.

Dazu haben wir übrigens bis heute nichts Brauchbares erfahren, selbst wenn die Ausschüsse jetzt regelmäßig informiert werden. Wir wissen, es wird teurer, aber wieviel tatsächlich und vor allem wie es finanziert werden soll, ist unklar.

Weiterhin ging es uns um die Minderung der Belastungen der Bürger durch die Bau­stelle.

Darum geht es auch heute wieder. Niemand von uns ahnte – vielleicht wusste es die Ver­waltung schon – dass die Teilung der Stadt nun ab 1. April komplett werden soll. Für mindestens 21 Monate sollen weder Autos, noch Straßenbahnen, noch Fahrradfahrer unter den Brücken passieren können.

Herr Oberbürgermeister Dr. Trümper, erinnern Sie sich eigentlich noch an Ihr Versprechen?

Ich muss es noch einmal erwähnen, weil mehr als die Hälfte der heutigen Stadträte, damals noch nicht dabei waren.

  • Der Autoverkehr sollte bis auf 6 kurzzeitige Sperrungen (2 – 3 Wochen) stets mindestens in eine Richtung fahren.

  • Die Straßenbahn im Wesentlichen stets einspurig unter den Brücken fah­ren.

Lieber Stadtrat Zander, Sie kritisieren in Ihren Ausführungen die mangelnde Professionalität der MVB-Geschäftsführung. Sie wollen die Geschäftsstelle austauschen, das ist der Firmensitz. Damit würde sich nichts ändern.

Erneut muss die MVB Ihren ganzen Netzfahrplan wegen des Tunnelprojektes umstellen. Treffend schreibt die Volksstimme vorgestern „Tunnel zwingt MVB zu neuem Netz“, das hatte Herr Stern auch schon erwähnt. Aber wenn man als 5. Redner dran ist, gibt es eben Wiederholungen. Was die MVB hier in den letzten Wochen leisten musste, ist eine wirklich große Herausforderung.

Wir sind gespannt auf die Praxis und hoffen, dass dieser 3. oder 4. notwendige Baustellenfahrplan gelingt und die Fahrgäste unserer Busse und Straßenbahnen besser zufriedenstellt als der vom Sommer 2016. Zumindest Fahrgastverband, aber auch Fahrgastbeirat haben die Verbesserungen gelobt. Zentral erscheint mir, dass weniger Umgestiegen werden muss und dass unsere Gäste den Hauptbahnhof jetzt auch im Netz besser finden, weil alle drei im Umfeld bestehenden Haltestellen den Zusatz bekommen.
Ich hoffe auch, dass die umfangreichen Sach- und Arbeitsleistungen für diesen Mehrauf­wand der MVB vernünftig erstattet werden, denn es sind Kosten des Tunnelprojektes. Auch die Deutsche Bahn muss daran Ihren Anteil bezahlen. Ist vielleicht ein bisschen kompliziert für unseren mit den Finanzen betrauten Bürgermeister, der gleichzeitig nun den Vorsitz des Aufsichtsrates inne hat. Aber vielleicht schafft er es.

Ein Bashing für Frau Münster-Rendel ist also von daher wirklich nicht angebracht. Die MVB muss hier das ausbaden, was ihr dieser Stadtrat vor etwa 8 Jahren mehrheitlich eingebrockt hat.

Das dieser Stadtrat die vom damaligen Landesminister Dr. Daehre erfundene Idee ‚Tunnel unter Brücken‘ aufgegriffen hat und gegen alle Fachleute dann mehrfach zum Teil mit äußerst dünner Mehrheit beschlossen hat, ist die Ursache allen Übels.

Ich habe bekanntlich seit 2006 eine kritische Haltung zu dem Projekt bezogen. Das gilt auch für Teile der SPD und meine bündnisgrüne Fraktion.

Viele Fachleute haben gewarnt. Ich erinnere nur an den ehemaligen Bundestagsabgeordneten der CDU, Dr. Klaus Mildner.

Ich erinnere aber auch an den ehemaligen Stadtratsvorsitzenden Falko Balzer oder an den ehemaligen SPD Fraktionsvorsitzenden Rainer Löhr.

Sie alle haben den verkehrspolitischen Nutzen bezweifelt, die technische Machbarkeit in Frage gestellt und/oder vor Kostensteigerungen gewarnt. Herr Stern hat diese Fehlinvestition wieder einmal gelobt. Schon deshalb muss ich noch einmal darauf eingehen.

Als die Idee der Tunnellösung 2006 aufkam, wurde das Projekt von den Ingenieurbüros bes­ser „verkauft“ als es am Schluss sein wird:

  • vierspurig sollte der Autoverkehr geführt werden - ließ sich nicht realisieren

  • am Kölner Platz sollte es eine unterirdische Anbindung mit Parkgarage geben - inzwischen ist klar, dass es am Kölner Platz niemals wieder eine Möglichkeit geben wird, Fahrgäste dort hinzubringen

  • die nördliche Tiefgarage des CityCarré sollte umfassend unterirdisch an den Tunnelverkehr ange­schlossen werden – die Ausfahrt nach Westen ist inzwischen auch oberirdisch entfallen.

Herr Oberbürgermeister, was Sie heute gesagt haben, hat mir gut gefallen. Daraus schließe ich, auch Sie hätten heute die Tunnellösung nicht mehr so beschlossen und

Herr Rösler, vielleicht hätten die Tunnelgegner länger Widerstand leisten müssen…

Herr Oberbürgermeister, verantwortlich für dieses Projekt sind in allererster Linie Sie.

Jetzt haben wir den Salat:

  • Mindestens 4 bis 5-fach höhere Baukosten
  • Langfristige Sperrungen für alle Verkehrsarten.

Aber wie ich schon im April ausgeführt habe: Der Tunnel ist im Bau und der sogenannte „Point of no return“ ist leider überschritten.

Allerdings, die Abrechnung kommt noch. Es ist schade, wieviel Geld hier in ein für den Stadtverkehr unsinniges Projekt fließen wird. Wenn wir Bündnisgrünen Fehlinvestitionen wie den Tunnelbau beklagen, dann ist uns sehr bewusst, dass die Mittel andernorts dringend notwendiger wären.

Nun aber zurück zum ÖPNV.

Leitmotiv unserer grünen Verkehrspolitik ist: Mehr Mobilität mit weniger Autoverkehr!

Wir wollen eindeutig Prioritäten zugunsten des öffentlichen Verkehrs und des Radverkehrs setzen. Mehr ÖPNV bedeutet ein hohes Maß an CO2-Einsparungen, weil weniger Menschen mit ihrem eigenen PKW unterwegs sind.

Unser Ziel - auch niedergelegt in unserem Kommunalwahlprogramm - ist ein Modal-Split von
25 : 25 : 25 : 25
MIV : ÖPNV : Radverkehr : Fußverkehr.

Um dieses Ziel zu erreichen bedarf es neben der deutlichen Förderung des Radverkehrs vor allem einen Ausbau des Straßenbahnnetzes.

Mit dem aktuellen Trassenbau soll das Straßenbahnnetz um insgesamt rund 13,5 Kilometer erweitert werden und mehr als 44 Tausend Einwohner erhalten einen Anschluss ans Netz der Straßenbahn.

Dazu stehen wir.

An den Feinheiten der Ausgestaltung des Netzes haben wir erfolgreich mitgewirkt:

  • Unserer beharrlichen Initiative ist es zu verdanken, dass an der Kreuzung Wiener Straße/Halberstädter Straße/Südring nun ein Gleisviereck entsteht, vielleicht dauert es dadurch jetzt ein bisschen länger.
  • Auch das echte Gleisdreieck des Knotenpunktes Warschauer Straße/Schönebecker Straße geht auf einen Stadtratsantrag unserer Fraktion zurück.
  • Das Gleisviereck an der Leipziger Straße hatte Herr Müller schon erwähnt.

Damit gewinnt das Netz an Flexibilität und ist später weniger anfällig für Havarien.

Selbstverständlich bedauern wir die massiven Baumfällungen. In der Raiffeisenstraße haben wir alle miteinander nach langer Diskussion in den MVB-Gremien, im Ausschuss und Stadtrat dem Kompromiss zugestimmt. Natürlich ist das ein großes Opfer, aber ohne die Eingriffe zumindest, auf der südlichen Seite der Straße, wäre es kaum möglich gewesen.

Natürlich hätte man auch auf das Parken im öffentlichen Straßenraum völlig verzichten können. Es gibt eigentlich keinen Anspruch für die Bürger im öffentlichen Straßenraum parken zu können. Doch wir allein hätten so etwas nicht durchsetzen können.

Ärgerlich und eigentlich vermeiden können hätte man unseres Erachtens die Baumfällungen im Bereich des 2. Bauabschnitts der Nord-Süd-Verbindung im Editharing und durch die notwendige Verlagerung des Magdeburger Rings. Ich behaupte, dass man die Deutsche Bahn, zu deren Vorteil man sich ja auch an der Ernst-Reuter-Allee abrackert, hätte überzeugen können, die Eisenbahnüberführung über die B1 Walther-Rathenau-Straße eher hätte bauen können, dann hätte man die ursprüngliche Linienführung vom Breiten Weg über das Krö­kentor umsetzen können und die vielen, vielen Bäume, die jetzt der Editharing-Variante zum Opfer fallen, könnten verbleiben.

Aber, wie schon beim Tunnel gesagt: Auch bei der Straßenbahnverlängerung sind die Ent­scheidungen gefallen und werden nun umgesetzt.

 

Zur MVB müssen wir aber dennoch etwas Kritisches sagen:

Der ÖPNV braucht trotz aller Baustellenprobleme in der Tat einen höheren Grad an Verlässlichkeit, um die Menschen auf Dauer dafür zu gewinnen und dauerhaft zu binden. Fahrplan­mäßig angekündigte Busse und Bahnen können nicht einfach ausfallen.

Dazu gehört aus unserer Sicht auch mehr Personal, um kurzfristige Engpässe (z.B. bei hohem Krankenstand) im Interesse der Attraktivität und der Zuverlässigkeit auszugleichen. Eine Personalreserve muss vorgehalten werden. Hier gibt es auch aus unserer Sicht noch Nachholbedarf bei der MVB.

Aber auch die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Fahrgäste stehen nicht gern im Regen. Das monatelange Theater um die ohne Zweifel notwendigen Haltestellenhäuschen an der zentral bedeutenden Haltestelle Hauptbahnhof/Adelheidring war für die Geschäftsführung kein Ruhmesblatt. Gut, dass wir die beiden Häuschen jetzt haben, denn bis mindestens Ende 2018 brauchen wir sie ja jetzt auch.

Viele Störungen in Bezug auf die Pünktlichkeit der MVB treten aber auch durch Dritte (Falschparkende) bzw. Unfälle auf. Mit dem interfraktionellen Antrag „Maßnahmeplan gegen Falschparkende“ ist die Stadtverwaltung zum Handeln aufgefordert. Einen Maßnahmenplan dazu will der Baubeigeordneten bis zum 3. Quartal 2017 vorlegen. Aber auch vom Stadtordnungsdienst erwarten wir ein entschlossenes Einschreiten. Schon bevor der Bus kommt, muss der Stadtordnungsdienst Autofahrer und Lieferdienste verwarnen, wenn Sie in der 2. Reihe halten und z.B. die Immermannstraße blockieren.

Die Zielstellung besteht in der deutlichen Verminderung der durch Falschparkende verursachten Verspätungen der MVB sowie die allgemeine Behinderung von am Verkehr Teilneh­menden (Fußverkehr, Radverkehr, Straßenbahnverkehr) durch verkehrs- und regelwidrig auf Gehwegen, Rad- und Straßenverkehrsanlagen parkenden und haltenden Kfz sein.

Abschließend erlaube ich mir Sie darüber zu unterrichten, dass die Bahnhofsmanagerin Frau Karin Meyer mir gestern Nachmittag nun zugesagt hat, dass die seit Juni vom Stadtrat angemahnte Fahrradrinne an der Treppenanlage zumindest auf einer Seite kommen wird. Es er­füllt mich persönlich mit großer Freude, dass der Druck des ganzen Stadtrates, das Drängen der Stadtverwaltung, des Seniorenbeirates und des ADFC offenbar Erfolg hatte.

Es wird noch nicht zum 1. April fertig sein, aber wahrscheinlich noch in der ersten Aprilwoche.

Vielen Dank für Ihre Geduld.

 

Jürgen Canehl
Verkehrspolitischer Sprecher der
Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN

Kategorie

Bus & Bahn | Reden